Prof. Dr. Christian Zwirner, Sebastian Schöffel
Aufgrund der massiv gestiegenen Inflationsraten im Post-Corona-Zeitraum und wegen des Ukraine-Kriegs hat die EZB zwischen Juli 2022 und Oktober 2023 zehnmal in Folge eine Anhebung der Leitzinsen vorgenommen. Aufgrund der rückläufigen Inflation im Jahr 2024 erfolgte im Juni 2024 die seit langer Zeit erste Senkung des Leitzinses auf 4,25 %. In der jüngsten Sitzung am 18.07.2024 hält der EZB-Rat an dieser Entscheidung fest, um für eine Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2,00 % zu sorgen.
Die wirtschaftlichen und geopolitischen Ereignisse, insbesondere der russische Angriffskrieg in der Ukraine, welche das Jahr 2022 geprägt haben, wirken auch im Jahr 2024 noch nach. Eine Folge der Krisen ist ein historischer Anstieg der Inflationsraten. Mittlerweile sind bezogen auf das Inflationsgeschehen wieder rückläufige Tendenzen erkennbar. So lag die Inflationsrate in Deutschland im Juni 2024 bei 2,20 %, nachdem sie im Dezember 2023 noch bei 3,70 % gelegen hatte. Auf diesem Niveau war die Inflationsrate zuletzt im Mai 2021 (2,20 %).
Trotz der stagnierenden Tendenz der aktuellen Inflationsrate liegt diese nach wie vor über dem Inflationsziel der EZB von mittelfristig 2,0 %. Hintergrund sind insbesondere Preissteigerungen bei Dienstleistungen. Die Volkswirte der EZB rechnen mit einer erhöhten Gesamtinflation bis ins kommende Jahr 2025. Daher legt die EZB aktuell eine Zinspause ein und belässt den Leitzins im Euroraum auf einem hohen Niveau von 4,25 %. Analysten erwarten daher in diesem Jahr eine zweimalige Senkung des Leitzinses um jeweils einen Viertelprozentpunkt im September und Dezember 2024. Demzufolge würde der Leitzins zum Jahresende wieder weniger als 4,00 % betragen.
Die bisherigen Leitzinserhöhungen der Notenbanken hatten u. a. deutliche Auswirkungen auf die Fremdfinanzierungskosten für Unternehmen und private Haushalte, die seit Beginn der Leitzinserhöhungen deutlich angestiegen sind. Private Haushalte spüren den Anstieg der Fremdfinanzierungskosten, insbesondere bei der Aufnahme von Krediten zur Immobilienfinanzierung. Unternehmen mit einer hohen Fremdkapitalquote, die Investitionen jahrelang günstig refinanzieren konnten, müssen sich bei anstehenden Umschuldungen zukünftig zu ungünstigeren Konditionen finanzieren.
Auch im Zusammenhang mit bewertungsrelevanten Fragestellungen machen sich die Auswirkungen der gestiegenen Leitzinsen bemerkbar. Noch im Januar 2022 lag der bewertungsrelevante Basiszins nach IDW S 1 bei 0,10 %. Zwischenzeitlich stieg der bewertungsrelevante risikolose Basiszinssatz nach IDW S 1 auf 2,75 % (01.11.2023 bis 01.01.2024). Zum 01.07.2024 ist der bewertungsrelevante Basiszinssatz nach IDW S 1 auf 2,50 % gesunken.
Im Ergebnis können die weiteren (Zins-) Entwicklungen noch nicht abgeschätzt werden. Es ist aber für den Fall von weiteren Leitzinsanpassungen anzunehmen, dass sich auch die für Unternehmensbewertungen relevanten Fremdkapital- und Eigenkapitalkosten verändern werden. Allerdings ist im Fall von Zinssenkungen, die für September und Dezember 2024 erwartet werden, kurzfristig keine deutliche Veränderung des allgemeinen bewertungsrelevanten Zinsniveaus zu erwarten.
In der Praxis sind gerade vor dem Hintergrund des unabhängig von weiteren Zinsanpassungen bereits – im Vergleich zu der früheren Niedrigzinsphase – hohem bestehenden Zinsniveaus im Jahr 2023 und 2024 die Auswirkungen auf Bilanzierungs- und Bewertungsfragen sowie auf die angemessene Verzinsung bei zinsrelevanten Sachverhalten im Blick zu behalten. Insbesondere sind bestehende Verzinsungsregelungen auf ihre Angemessenheit zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.